Dienstag, 12. Mai 2009

Von amerikanischen Book Scouts mit elektronischen Ellbogen und einem Mut in Wien, 5. Bezirk. Interkontinentale Streifzüge

Auf Deutsch: interessante Links zum Thema dieses Blogs:

In den USA ist die Schnäppchenjagd auf geheime Schätze in Buchform vor bei allem bei Charity- Buchbazaren und Bibliotheksausverkäufen wesentlich verbreiteter und erfolgversprechender als in Deutschland. Riesige Mengen gebrauchter Bücher wechseln dort regelmäßig den Besitzer. Diese Buchflohmärkte mit gemeinnützigem Charakter sind in Amerika wichtiger Teil der Alltagskultur. Zudem bringen sie warmen Geldregen in die wie bei uns meist klammen und anders als bei uns fast völlig auf Sponsoren und private Spender angewiesenen Kassen der lokalen Kultur-Multiplikatoren und ehrenamtlich rührigen helfenden Hände karikativer Organisationen vor Ort - egal ob kirchlich, kommunal oder ehrenamtlich-bürgerbewegt.

Zwiespältig sind die Gefühle angesichts des zunehmend aggressiven Treibens hauptberuflicher sogenannter Book Scouts bei diesen traditionell eher geruhsam-bibliophilen Veranstaltungen: vom Typus her gleichen diese Buchkäufer und -verkäufer in Personalunion in etwa den auch bei uns naserümpfend als Antiqure dritter Klasse angesehenen Buchtrödlern, wie sie zunehmend auch Plattformen wie Amazon und AbeBooks bevölkern und mit ihren Ständen auf Flohmärkten anzutreffen sind;
Book Scouts stehen anders als seriöse Antiquare - denen sie nicht selten zuarbeiten - ganz unten auf der Hierarchie des Gebrauchtbuchhandels in den USA; rauhbeinige Gesellen - meist sind es Männer - einer sozialen Subkultur aus College-Dropouts und halbgebildeten "Lebenskünstlern" ; angesichts der Wirtschaftskrise betätigen sich jedoch auch immer mehr klomplette Mittelschichtfamilien mit Geldproblemen arbeitsteilig auf diesem Gebiet des augenscheinlich schnell zu machenden Geldes; von Büchern verstehen diese "Händler" in der Regel nichts.

In jüngster Zeit tritt der amerikanische Book Scout diesen Schlages ausgerüstet mit brandaktueller Scanner-Software auf den Plan und räumt kräftig ab, bevor der echte Bücherfreund und -sammler überhaupt zum Zuge kommt; Bibliotheksangestellte und ehrenamtliche Mitarbeiter sind zunehmend genervt und wehren sich: wie in der Zwillingsmetrople Minneapolis-St. Paul in Minnesota, so ein interssanter Artikel von Laurie Blake in der lokalen Star Tribune; ausgegraben hat diesen Artikel - wieder einmal mehr - Steve Weber; auf dem Presse-Foto sehen wir einen dieser Book Scouts in Aktion und mit entsprechendem T-Shirt (das er vermutlich auch vertickt); von aggressiv auftretenden Kollegen, die in der Nacht vor Eröffnung der Buchbazare im Auto kampieren und im Morgengrauen die besten Schnäppchen säckeweise wegschleppen, berichtet auch ein frustrierter Bücherfreund aus Brooklyn, NYC auf diesem Forum - und über Schlussverkaufkampfstimmung bei einem kirchlichen Bücherausverkauf: "They were frantic, grabby and all elbows".

Die aggressiv auftretenden und elektronisch hochgerüsteten Bücherjäger scheinen ein zunehmendes Problem zu sein - und werden von den Mitarbeitern der Schnäppchen-Events zwiespältig beurteilt: einerseits will man Sammler und Buchfreunde aus der Nachbarschaft nicht verprellen; andererseits braucht man das rasch eingenommene Geld der stets sackweise einkaufenden Scouts. Und so werden verschiedene Strategien entwickelt, um das Problem für alle Seiten befriedigend in den Griff zu bekommen: Zutritt für die Scouts erst ab 12 Uhr mittags, Einkassieren einer Gebühr von 20$ von kommerziellen Käufern mit der Möglichkeit eines Vorkaufsrechts am Tag vor der offiziellen Eröffnung u.a.. Die Kommentare und Beiträge dazu auf den oben verlinkten Seiten sind aufschlussreich und belegen, wie sehr das Problem allen Betroffenen auf den Nägeln brennt und die Gemüter erhitzt.

Einen Satz, der sich sinngemäß in Varianten wie ein roter Faden durch die engagiert geführten Diskussionen zieht, sollte sich der "aspiring book scout" mit der Elektronik in der Tasche allerdings dick anstreichen: der wirklich erfolgreiche Jägersmann (oder -frau) in Sachen antiquarischer Bücher zum Schnäppchenpreis auf Bazaren, in Charity Shops und auf Bücherflohmärkten braucht auch in Amerika weder ScoutPal - so sieht das Ding übrigens aus - noch ASellerTool , sondern Erfahrung und die richtige Nase eines Trüffelschweins. Das schnappt dann beherzt im richtigen Augenblick zu, wenn der elektronische Jäger immer noch fasziniert aufs Display seines Apparates stiert; und die ganz großen Nuggets lassen sich mit dem Scanner ja eh nicht anpeilen, zum Glück. Obwohl - rumspielen mit so einem Ding würde ich gerne schon mal;-).

Eine schöne Meldung von der anderen Seite des facettenreichen Handels mit Büchern kommt aus Österreich; genauer aus Wien, 15. Bezirk, Rudolfsheim-Fünfhaus, ein multikulturell geprägter ehemaliger Arbeiterbezirk mit einem hohen Anteil von Zuwanderern vor allem aus dem ehemaligen Jugoslawien; dort hat die ehemalige Verlagsrepräsentantin Ulla Harms etwas Unerhörtes gewagt: zusammen mit einer Schar mutiger Kolleginnen eine kleine, unabhängige Buchhandlung gegründet: die erste und allereinzige im Bezirk, heisst es; schlicht Buchkontor nennt sich das Unternehmen in einem Jugendstilhaus am Kriemhildplatz. Am 15. Mai, um 15 Uhr, ist Eröffnung. Hut ab und Gratulation, Frau Harms! "Es gibt sie noch, die enthusiastischen Buchmenschen, die ein Büro suchen und eine Buchhandlung finden!", meint Vienna Online, das diese mutmachende Geschichte veröffentlicht. Da Frau Harms, wie zu lesen ist, beste Beziehungen zu Wiens Verlagen pflegt, stehen die Chancen gut. Good luck! Zumal ja auch die sehr spezielle österreichische Variante der Buchpreisbindung ins Wanken gerät.....

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