Donnerstag, 23. April 2009

Große Haie, kleine Fische - und ein Tribut an Henry Miller. Zum Ausklang des Welttags des Buches


Der Weltbuchtag neigt sich dem Ende zu. Was ich gut fand an jenem an sich überflüssigen Tag jenseits des Üblichen und Nervigen - etwa Politiker, die Grundschüler und Fünftklässler (die lassen sich noch am ehesten überrumpeln) aus Prestige- und Wahlkampfgründen mit Vorleseaktionen terrorisieren
durften -, waren die Berichte über die "Kleinen": Wagemutige Neugründer und Fähnlein der letzten Aufrechten traditioneller Familienbetriebe, die sich auch anno 2009 dem Abenteuer Buchhandel stellen; viel Gejammere aber auch manches Frech-Wagemutige gab es da zu lesen. Die besten und engagiertesten Artikel zum Thema kamen dabei, wie so oft, aus der kleinen, aber feinen Provinz: engagierte Lokaljournalisten schrieben spürbar mit Herzblut über Lust und Frust eines aussterbenden Berufsstandes: den des Buchhändlers als Einkelkämpfer und Individualist. Dafür sei den oft zu unrecht geschmähten "Provinzschreibern" einmal von Herzen Danke gesagt:

Zum Beispiel Erich Wandschneider von der Augsburger Allgemeinen Zeitung: der hat aus gegebenem Anlass einen schönen und unzeitgemäß langen Artikel über die kleine Buchhandlung "Maximilian" im ebenso kleinen Wertingen geschrieben. Wertingen liegt im schwäbischen Landkreis Dillingen an der Donau und hat noch nicht einmal 9000 Einwohner, schreibt die Wikipedia; wie viele der Wertinger Leseratten und regelmäßige Buchkäufer sind, ist nicht überliefert. Aus eigener Erfahrung mit dem Leben in so einer ländlichen Kleinstadt weiss ich allerdings: die Nähe zum öffentlich geförderten Buch ist hier meist noch besser erhalten als in der Großstadt, Lesen wird - von den Familien, den Schulen und, hier noch ganz wichtig, den Pfarrgemeinden - bemühter gefördert, Bücher als Geschenk für liebe Mitmenschen gehören noch zum guten Ton: in der Kleinstadt mit ihren - noch - engmaschigeren sozialen Netzen kauft man der Kusine dritten Grades zum Geburtstag ein "gutes Buch" (was immer darunter zu verstehen sein mag, aber das ist ja auch egal), wo es in der Großstadt noch nicht einmal mehr für einen Anruf langt. Insofern werden Buchläden wie das "Maximilian" in Wertingen sicher noch eine Weile Bestand haben; wenn sie so rührig, engagiert, "eventfreudig" wie kulturbeflissen und mit dem Ohr am Puls des übersatten Lesers 2009 agieren wie offenbar die Damen von der Donau, umso mehr.

Dennoch: als Amazon-Verkäufer fiel mir schon nach kurzer Zeit auf: die Leser vom Lande stellen mit Abstand das Gros meiner Kunschaft, sicher oft auch eine Frage der Logistik, wenn die nächste "leibhaftige" Buchhandlung zig Kilometer entfernt liegt; da ist Amazon und sind somit auch wir Trabanten auf Dauer einfach nicht schlagbar. Der Tipp des gewitzten Reporters, doch die "Gebrauchten" wie in Frankreich (wusste ich gar nicht, dass das dort so gehandhabt wird) gleich neben die Neuware ins Regal zu räumen, stieß allerdings auch in Wertingen auf taube Ohren: gebrauchtes Lesefutter gehöre in die Wühlkiste,punktum. Da ist sie wieder, die alte Arroganz: gebrauchte Bücher sind Ramsch. Auf Dauer werden sich auch deutsche Buchhändler, wenn sie trotz Amazon und Co. überleben und ihr bescheidenes Revier erfolgreich verteidigen wollen, diese Attitüde nicht leisten können.

In Schönheit sterben zu wollen, wäre mehr als töricht. Wobei ich - was eine ganz subjektive Privatmeinung ist - den flexiblen, im sozialen Umfeld vor Ort geerdeten und vernetzten kleinen Buchhandlungen mit Visionen (auch kleine Visionen können viel bewirken) eine wesentlich sicherere Zukunft im Auge des Orkans namens Amazon vorauszusagen wage als den großen anonymen und austauschbaren Ketten; ob es die in zwanzig Jahren noch geben wird - den Blick in den Kaffeesatz möchte ich nicht riskieren.

Zum Abschluss wieder ein Buchtipp: "Lachen. Liebe. Nächte. Sechs Erzählungen". Autor: Henry Miller. Die Stories (im Original doch erheblich abweichend "Nights of Love and Laughter") hat der - zu unrecht - weniger als grandioser Schriftsteller denn als grosser Schweinigler in da kollektive kulturelle Gedächtnis eingegangene Amerikaner in Frankreich geschrieben, kurz vor dem Ende der seligen Bohème-Zeit in Paris und dem Beginn der Nazi-Barbarei; Miller war da um die 40 und hatte als literarischer Spätzünder mit seinem allersten Roman "Wendekreis des Krebses", bis heute auf Deutsch verlegt bei Millers hiesigem Hausverlag
Rowohlt und nach wie vor gerne gelesen, seinen literarischen Durchbruch mit einem Skandal begründet. Die Erzählungen sind autobiografisch gefärbt und der Sex spielt darin eigentlich keine oder eine Neben-Rolle. Sexistisch sind sie - entgegen des Millerschen Klischees - auch nur für den, der das frauenfeindliche Haar in der Suppe des Vielbeschrienen wie Vielgeliebten partout finden will. Die kleine Hurengeschichte "Mademoiselle Claude", die seinerzeit für soviel Wirbel sorgte, finde ich persönlich ganz zauberhaft, ein wenig traurig auch und verloren, und sie erzählt eine Menge über uns Frauen, Hure oder nicht Hure.

Was mir besonders an Miller gefällt ist sein Humor, der alle Geschichten tränkt: einerseits führt er so das Groteske der menschlichen Existenz in all ihren verqueren Spielarten wie einen Bären am Nasenring vor, andererseits hilft es dem Autor, seine tiefe existentielle Einsamkeit und (Sehn-)Sucht nach Liebe mit einem Witz herunterzuspielen. Millers Humor, sein lustvolles Übertreiben absurder Situationen und Überzeichnen neurotischer Persönlichkeiten ins Lächerlich-Monströse bezieht die eigene Person immer mit ein; das macht seine Größe aus. Am Ende stehen stets die lässige Geste und die Einsicht "Was soll´s, hätte schlimmer kommen können"; vielleicht wurde Miller so trotz aller Eskapaden und Exzesse über 90.

Wer jetzt Lust an den Geschichten bekommen hat - in denen geht es u.a. um folgendes: eine an absurdes Theater oder Kafka im Kasperltheater gemahnende verhinderte Reise des Autors nach England und um eine in einer furios-durchgeknallten Orgie endende, mit Astrologie und Alkohol, Geschwätz und Sex gewürzte Szene-Party in New York - der sollte nicht zögern und stöbern (bei buy-a-fine-book und anderswo). Persönlich ziehe ich die dezente alte Rowohlt-Taschenbuchausgabe aus den 1950er Jahren der aktuellen Ausgabe mit der aufdringlich-komichen blauen Banane vor. Schönere Taschenbücher als diese 50er Jahre-Bändchen mit den verstärkten Leinenrücken und den geschmackvoll-ästhetisch hochwertigen Cover-Illustrationen gibt es wohl kaum.

Die gestalterisch gekonnt die Balance zwischen kühler grafischer Distanz, theatermäßigem "Drama" und erotischer Nähe haltende Einbandgestaltung geht auf das Konto von Karl Gröning Junior und Gisela Pferdemenges, ein in den 1950er Jahren äußerst produktives Gespann von Bucheinband-Illustratoren; die kongeniale Übersetzung ist Kurt Wagenseil zu danken, der mit Miller befreundet war und alle seine Werke erstmalig ins Deutsche übertrug; er tat es genial und mit jener sehr seltenen Gabe der Einfühlung in den "Sound" eines Textes, die nur den ganz Großen unter den Übersetzern zu eigen ist. Dass dieses schöne kleine Gesamtkunstwerk in Gestalt eines Taschenbuchs hier für einen derart lächerlichen Preis angeboten werden muss, tut weh; aber in dem Fall war der Konkurrenzdruck einfach zu groß. Am ideellen Wert dieser Ausgabe ändert das für mich nichts.

Wer einmal sehr eigen auf den Spuren eines Miller-Adepten von heute wandeln will, dem sei
dieser vergnüglich-freche Beitrag auf dem ZVABlog zur Lektüre empfohlen. Woher der Autor allerdings die Erkenntnis hernimmt, Frauen hätten von Natur aus kein antiquarisches Sammlergen - das weiss ich allerdings auch nicht........;-).

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