Dienstag, 28. April 2009

Participation Age, Second Life und ein Guru aus dem Online-Antiquariat: Neue Wege im Bücherland.

Wenn ich gelegentlich auf dem Flohmarkt um die Ecke nach Büchern stöbere, nervt mich stets der türkische Billige Jakob für Obst und Gemüse, der kurz vor Toresschluss die letzten schrödeligen Erdbeeren aus Litauen für 50 Cent das Pfund an den Mann bringen will: "Billig, billig, billig! Angebot, Angebot, Angebot!" schreit er mit heiserer Stimme gebetsmühlenartig in der Warteschleife, und die KundInnen strömen und schlagen sich um die Plastikschälchen mit zweifelhaftem rotzerquetschtem Inhalt. Er macht das zwei Mal die Woche (und an den anderen Tagen vermutlich andernorts), endet immer bei "billig, billig, billig" und 50 Cent und muss, da er ja immer wieder mit gigantischen Obstbergen wiederkommt, dennoch seinen Schnitt machen.

So ähnlich muss es den Kollegen von der Verpackungsspekulantenmafia bei Amazon und Co. gehen, die für 0,1 Cent "verlagsfrische" Bücher im Internet verhökern, natürlich im "luftgepolsterten Umschlag"; auch sie werden ihren Schnitt machen mit Masse statt Klasse - anders als der Kollege vom Gemüsestand, bei dessen Ware der Kunde den Gammel ja deutlich sieht, verschweigen sie selbstredend gerne die Mängel ihrer "frischen" Exemplare. Die Käufer solcher Angebote sind, scheint´s, ohnehin eher an den wattierten Umschlägen und an den Clips interessiert als am Inhalt. Warum ich jetzt gerade an diese "Kollegen" (gerne treten sie unter den klassenspezifischen Namen wie "Mannis Bücherkiste" oder "DasBilligeBuch" in Erscheinung) denken muss, weiss ich auch nicht; vermutlich, weil ich Appetit auf Erdbeeren habe und daran denke, am Wochenende wieder mal zum Flohmarkt zu gehen;-)

Eigentlich wollte ich über was ganz anderes posten: in - noch (mal sehen, was draus wird) - unregelmäßigen Abständen binde ich ab sofort einen Strauß thematisch interessanter Links, die mir bei Internet-Recherchen begegnet sind. Hier sind die ersten:

Eine sich etwas kraus und verstiegen lesende Pressemitteilung erreichte mich über newmax: die Literatur sei endlich auf dem Weg ins
Participation Age; dachte zunächst, ich hätte mich verlesen, aber steht da wirklich so: es geht um eine offene und zu allem Schreck auch noch vom Freistatt Bayern geförderte Plattform, die - wenn ich das krause Geschw. (sorry) einer Dame der Geschäftsführung richtig deute - die Absicht hegt, Autoren und "anderen Künstlern" einzureden, geistiges Eigentum und Kreativität miteinander zu teilen und mit gebündelter Energie und algorithmisch berechneter "dynamischer Preisfindung" (die Geschäftsführerin hat Informatik studiert und war früher Sales Managerin bei Amazon) als E-Book für Kindle & Co. an den Markt zu bringen. Mache sich jeder selber ein Bild. Der Webauftritt des Unternehmens namens
Litogo mitsamt seiner "Wikipockets" übereugt mich persönlich eher nicht, das ganze Ding ist zu gewollt und zu lollipop-kleinmädchenquietschbunt; im Grunde geht es um Ähnliches wie bei den guten alten Bezahlverlagen: um die Kitzelung der Eitelkeit von "Bestsellerautoren von morgen"; na ja. Bis das E-Book erwachsen ist, wird es noch durch so manche pubertäre Eskapade auffällig werden. Und jeder ist ein Künstler, wusste schon Joseph Beuys. Dass sich für mich Kreativität und staatliche Förderung prinzipiell ausschließen, ist Privatmeinung, kann man durchaus anders sehen.

Dass Amazon mal wieder zur rechten Zeit zugeschlagen und die beliebte E-Book-Application Stanza mitsamt ihres Schöpferunternehmens Lexcycle eingekauft hat, berichtet nach der Lektüre des entsprechenden Hausblogs des Unternehmens u.a.
Create or Die; auf Französisch gibt es entsprechende, ebenfalls auffallend zurückhaltende Infos bei NetEco: eine gute Gelegenheit, sich einmal vertieft mit der Welt des E-Business in Frankreich zu befassen.

E-Business in USA ist bekanntlich immer etwas lauter und für europäische Verhältnisse marktschreierischer als in Europa, auch auf dem Buchsektor: ein Beispiel dafür sind die nahezu überbordenden Aktivitäten des amerikanischen Gurus der Online-Antiquariatsszene Steve Weber: der Veteran der U.S. Airforce und studierte Journalist aus West Virginia nutzt nicht nur intensiv sämtliche Plattformen, die sich ihm bieten, als Marketinginstrumente in eigener Sache, bloggt, twittert und produziert Sachbücher im Selbstverlag, selbstverständlich auch als E-Book und im eigenen Amazon Store; seine Tipps zum Handeln mit gebrauchten und raren Büchern vom heimischen Schreibtisch aus sind ohne Frage brauchbar, informativ, bei aller Redseligkeit kein hohles Geschwätz, oft erfrischend simpel und gerade daher vermutlich so erfolgversprechend: näheres
hier:

Steve führt seinen seit Beginn seiner Selbstständigkeit als Online-Antiquar 2001 stetig wachsenden Erfolg nicht zuletzt auf eine simple Tatsache zurück: seine Unbefangenheit, mit der er die Sache einst angign: er sei halt nie ein hochtrabender Bücherwurm mit Rosinen im Kopf gewesen, sondern ein eher technikaffiner und allem Neuen aufgeschlossener Zeitgenosse mit Freude an Büchern, der aus dieser Freude ein ausgebautes Hobby und irgendwann eine Lebensexistenz machte; vielleicht in der Tat nicht der schlechteste Ansatz für Erfolg in diesem Business. Dass beim erfolgreichen Handeln mit alten Büchern nicht nur die richtige Nase, ein langer Atem und unermüdliches Suchen und Finden wesentlich sind, sondern gelegentlich schlicht Glück, verschweigt er nicht: die Geschichte mit dem vergessenen Körbchen unter einem Tisch bei einem Bibliotheksflohmarkt, in dem sich zwischen lauter Ramsch eine 100 Dollar-Buchperle fand, ist mir in der Form auch einmal widerfahren;-). Ansonsten gebe ich dem Guru recht: nicht vom dicken Geschäft mit millionenteuren Sammlerstücken träumen (an die kommt auch ein Amazon-Guru eher selten), sondern sich im mittleren Segment mit vielen Verkäufen eine solide und sichere Position schaffen; Ausreisser nach oben nicht ausgeschlossen.

Zum Schluss noch ein Blick auf eine ungewöhnliche Buchhandlung mit Antiquariat in Hoquiam im amerikanischen Bundesstatt Washington:
Jackson Street Books: im 9000 Einwohner-Städtchen mit Holzfällertradition, singt man zwar gerne in den entsprechenden Hemden volkstümlich-zeitkritische Lieder zur Gitarre zwischen Bücherregalen, ist aber ansonsten auf der Höhe der Zeit: mit Online-Handel, Bezahlen mit Pay Pal, Bloggen und sogar einem eigenen Auftritt bei Second Life, wo sie ebenfalls Bücher verkaufen; geht also doch beides, das Traditionelle und das Neue. Die als linksalternativ einzustufenden Macher von Jackson Street Books, ein Ehepaar mittleren Alters, verkaufen übrigens wie selbstverständlich alte und neue Bücher in einunddemselben Laden: mein Credo, in Deutschland leider nach wie vor nicht oder nur schamhaft realisierbar - wie lange noch?

Kleine, feine Buchhandlungen mit eigenen Überlebensstrategien und ungewöhnlichen Konzepten (ebensfalls mein Credo: die werden auch im Amazon-Age überleben, die gesichtslosen Ketten eher nicht) wird dieses Blog in loser Folge einige vorstellen: solche, die ich selber besucht habe (vielleicht irgendwann mal mit Podcast) und solche, die ich im Netz aufgestöbert habe.

Mein Buchtipp wird diesmal auf morgen verschoben - auch eine bekennende Nachteule wie ich muss mal schlafen und geht heute frueher als gewohnt zur Ruhe: zumal morgen wieder Trüffelsuche in Sachen Bücher angesagt ist;-). Als Bettlektüre liegt heute was Leichtes bereit: Hans J. Massaquoi (ein Angebot von buy-a-fine-book, meinem Amazon-Auftritt, ist auch dabei, und somit ist es dann doch noch ein Buchtipp;-)), eine leichte, aber nicht nervende Lektüre; gerade richtig nach einem anstrengenden Tag (und auch eine Erfolgsstory, die Mut macht und für ruhige Träume sorgt: nicht das Schlechteste, was man über ein Buch sagen kann); gute Nacht denn.

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