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Sonntag, 17. Mai 2009

Von Bookstore Tourism bis zu Science Fiction für Hollywood. Interessantes aus der Welt des Buchhandels, nicht nur antiquarisch.

Auf Deutsch: hier wieder ein paar interessante Links aus dem Themenkreis dieses Blogs:

1. Bei AbeBooks präsentiert ein existenzgründungsbewegter Bücherwurm eine interessante Geschäftsidee: Buchhandlungs-Tourismus (ich weiss, klingt irgendwie unschön, aber ein griffigeres Wort kommt mir nicht in den Sinn), auf Englisch geschmeidiger "bookstore tourism"; ein
Projekt des Amerikaners Larry Portzline aus Harrisburg, Hauptstadt von Pennsylvania: der sozusagen berufsmäßige Bücherwurm - professioneller Buchhändler oder Reiseunternehmer ist er nicht - , der auch in die Organisation literarischer Veranstaltungen involviert ist, hat so eine Art alternativen Tourismus im Auge und will Bücherwürmer, Literaturfreunde, Bibliothekare auf Betriebsausflug, Schulklassen etc. in kleinen oder größeren Gruppen mit Bussen zu den unabhängigen kleinen Buchläden der näheren und weiteren Umgebung transportieren, am liebsten USA-weit vernetzt.

Der studierte Geisteswissenschaftler, der sich selber der
"Graswurzelbewegung" (in den USA von der Wortbedeutung her nicht ganz so links-anarchistisch besetzt wie in Deutschland) zurechnet, hat über seine Unternehmensidee Bücher geschrieben und diverse Blogs und Auftritte in sozialen Internet-Netzwerken auf die Beine gestellt; das kann man sich alles von dem oben verlinkten AbeBooks-Feature aus zu Gemüte führen, daher verlinke ich das hier nicht weiter. Ganz so richtig "in trockenen Tüchern" scheint die an sich originelle Idee noch nicht zu sein: das Blog wirkt leicht eingeschlafen, der FaceBook-Auftritt ist beendet und irgendwie scheint aus der Sache die Luft raus zu sein. Ganz unriskant scheint sie in Zeiten des allgemeinen Buchhandlungen-Sterbens nicht zu sein. Für amerikanische Verhältnisse kann ich natürlich nicht sprechen, und das Angebot dort an kleinen, feinen und auch schrägen, eigensinnigen Buchläden selbst im Hinterwald ist nach wie vor beachtlich; beachtlicher zumindest als im eher betulichen Bücherland Deutschland. Doch die Zahl der kleinen, unabhängigen Buchläden ist auch in den USA spürbar geschrumpft.

Die Idee an sich hat was, zumal Larry Portzline es nicht bei den Buchläden bewenden lässt und die Buchwurmtouris in den angesteuerten Städten auch zu "literarischen Orten" (Schauplätze von Romanen, Geburtsorte und Wirkungsstätten von Schriftstellern, sehenswerte Bibliotheken, falls vorhanden etc..) führen will. Im kleineren Rahmen durchaus auch auf deutsche Verhältnisse übertragbar. Den Vorschlag, einfach mal Freunde und Bekannte zusammenzutrommeln und im Nachbarort auf Bücherladenreise zu gehen, finde ich zumindest sehr charmant. Wenn auch aus dem großen Hype nichts werden sollte.

2. Wer im Netz nach Literatur aus dem hohen Norden recherchieren will und bislang Schwierigkeiten hatte, seltenen schwedischen oder finnischen Werken im Original auf die Spur zu kommen, dem kann geholfen werden: mit
antikvariat.net: seit zehn Jahren stellt die skandinavische Sektion der ILAB (Int. League of Antiquarian Booksellers) den gesamten Warenbestand seiner Mitglieder wochenaktuell (immer montags mit ca. 10.000 neuen Titeln upgedated) zum online-Verkauf ins Netz; Verkehrsprache ist Englisch, umschaltbar in alle teilnehmenden Landessprachen (die nützlichen Fachbegriffe aus der Welt des Büchersammelns gibt´s leider nur auf Schwedisch). Federführende Gründernationen sind Schweden und Dänemark, Finnland und Norwegen schlossen sich später an (Island ist nicht aufgelistet).

Insgesamt nehmen 98 Antiquriate mit mehr als 1.500.000 Angeboten teil. Feinsuche nach Ländern, für Dänemark sogar nach gesonderten Angeboten in Kopenhagen und Aarhus, sowie gezielt bei den jeweiligen Migliedsunternehmen ist möglich, ebenso nach Jahrhunderten bis zurück ins 14.; Preisangabe wahlweise in jeder der skandinavischen Landeswährungen, US-Dollar, Euro oder japanischen Yen möglich. Bestellt werden kann direkt über die Datenbank. Ein Angebot, das durch Klarheit und Beschränkung auf das Wesentliche ohne viel Schnickschnack und unter Verzicht auf (Eigen-)Werbung (selbst die farbigen Darstellungen der Buchcover lassen sich auf Wunsch per Klick entfernen) besticht; Vorbildcharakter.

3. Eine der charmantesten und vom Anspruch her engagiertesten Buchhandlungen Deutschlands findet sich im Ruhrgebiet, und zwar in seinem schönsten und untypischsten Zipfel in Richtung Rheinland, im altehrwürdig-idyllischen
Werden: die Kinderbuchhandlung Schmitz junior, ein Ableger der gleichnamigen Stadtteilbuchhandlung. Auf 250 Quadratmetern einer ehemaligen alten Druckerei machen sich Vollsortiment, Schnäppchen und allerlei Überraschungen breit, eine Räuberhöhle, ein Kinderkaufladen und eine funktionstüchtige alte Heidelberger Einfarben Druckmaschine, die so aussieht; 7000 eingetragene Mitglieder zählt laut Website der hauseigene Kinderclub; Junioren ohne Eltern, heisst es, sind als Gäste sehr gerne gesehen, auch bei Lesungen, Vorlesestunden und Workshops. Für soviel Engagement gab´s von einer Fachzeitschrift 2005 die Auszeichnung als "Buchhandlung des Jahres" in der Kategorie Spezialbuchhandlung. Eine Zierde für meine Geburtsstadt Essen, die ja wahrlich nicht arm an ausgefallenen Buchhandlungen ist (davon später einmal mehr).

4. Nicht Kinder, sondern Hollywoodstars als Kunden haben der Amerikaner David Aronovitz und seine Frau Nancy aus Michigan: seit fast 35 Jahren betreiben die zwei auf einem abgelegenen Farmhaus irgendwo im ländlichen Nirgendwo weit draussen vor den Toren der Autostadt Detroit ein kleines Antiquariat mit erstklassigem Ruf: The Fine Books Company. Was als Hobby begann, wurde zum kleinen Spezialunternehmen vornehmlich für seltene bis extrem seltene Erstausgaben von SF-Literatur der Crème amerikanischer und britischer Autoren: mit Hollywood unter den Stammkunden, immerhin auch Tom Cruise. Studios bestellen bei Aronovitz seltene Erstausgaben als Geschenk für ihre Stars, Produzenten oder Regisseure. Gerühmt werden vor allem neben Aronovitz´ antiquarischer Seriosität und Sorgfalt seine profunden Kenntnisse vor allem der Science Fiction-Literatur und ihrer sehr speziellen Szene: ein Liebhaber und Amateur im wahrsten Sinne des Wortes wurde zum spezialisierten Vollprofi; weitere Schwerpunkte sind Kinder- und Kriminalliteratur.

Wenn man den online einsehbaren spannenden aktuellen Sf-Katalog von Fine Books Company studiert, erkennt man rasch, das ist nicht nur die übliche Lobhudelei der Lokalpresse: die kleinen, aber sehr sorgfältigen Beschreibungen der aufgelisteten Bücher gehen immer auch mit ein, zwei Sätzen auf den literaturgeschichtlichen Stellenwert des Buches ein; eine kleine Zeitreise durch die Welt der Science Fiction. Eingestimmt von Boris Karloff kann der Interessierte hier stöbern und neben teuren Sammlerstücken durchaus auch ein Schnäppchen für rund 18$ machen. Die besondere Liebe des Lesers, der zum Sammler und dann Händler von Sf-Literatur wurde, gehört Altmeister Robert A. Heinlein, aus dessen Oeuvre Aronovitz zahlreiche z.T. signierte Erstausgaben besitzt.

Neuen Herausforderungen im Internet-Zeitalter muss sich auch dieser erfolgreiche Spezial-Antiquar stellen: seit Jahren arbeitet er eng mit AbeBooks zusammen; und er nimmt die Widrigkeiten im Preisduell mit Hobby-"Wohnzimmerantiquaren" gelassen und mit Humor: immerhin biete sich ihm jetzt die nie geahnte Möglichkeit, Bücher bis nach Singapur und in den Sudan zu verkaufen. Seine Nische auf dem platten Land bei Detroit wird dieser Antiquar alter Schule noch lange besetzt halten können.

Dienstag, 12. Mai 2009

Von amerikanischen Book Scouts mit elektronischen Ellbogen und einem Mut in Wien, 5. Bezirk. Interkontinentale Streifzüge

Auf Deutsch: interessante Links zum Thema dieses Blogs:

In den USA ist die Schnäppchenjagd auf geheime Schätze in Buchform vor bei allem bei Charity- Buchbazaren und Bibliotheksausverkäufen wesentlich verbreiteter und erfolgversprechender als in Deutschland. Riesige Mengen gebrauchter Bücher wechseln dort regelmäßig den Besitzer. Diese Buchflohmärkte mit gemeinnützigem Charakter sind in Amerika wichtiger Teil der Alltagskultur. Zudem bringen sie warmen Geldregen in die wie bei uns meist klammen und anders als bei uns fast völlig auf Sponsoren und private Spender angewiesenen Kassen der lokalen Kultur-Multiplikatoren und ehrenamtlich rührigen helfenden Hände karikativer Organisationen vor Ort - egal ob kirchlich, kommunal oder ehrenamtlich-bürgerbewegt.

Zwiespältig sind die Gefühle angesichts des zunehmend aggressiven Treibens hauptberuflicher sogenannter Book Scouts bei diesen traditionell eher geruhsam-bibliophilen Veranstaltungen: vom Typus her gleichen diese Buchkäufer und -verkäufer in Personalunion in etwa den auch bei uns naserümpfend als Antiqure dritter Klasse angesehenen Buchtrödlern, wie sie zunehmend auch Plattformen wie Amazon und AbeBooks bevölkern und mit ihren Ständen auf Flohmärkten anzutreffen sind;
Book Scouts stehen anders als seriöse Antiquare - denen sie nicht selten zuarbeiten - ganz unten auf der Hierarchie des Gebrauchtbuchhandels in den USA; rauhbeinige Gesellen - meist sind es Männer - einer sozialen Subkultur aus College-Dropouts und halbgebildeten "Lebenskünstlern" ; angesichts der Wirtschaftskrise betätigen sich jedoch auch immer mehr klomplette Mittelschichtfamilien mit Geldproblemen arbeitsteilig auf diesem Gebiet des augenscheinlich schnell zu machenden Geldes; von Büchern verstehen diese "Händler" in der Regel nichts.

In jüngster Zeit tritt der amerikanische Book Scout diesen Schlages ausgerüstet mit brandaktueller Scanner-Software auf den Plan und räumt kräftig ab, bevor der echte Bücherfreund und -sammler überhaupt zum Zuge kommt; Bibliotheksangestellte und ehrenamtliche Mitarbeiter sind zunehmend genervt und wehren sich: wie in der Zwillingsmetrople Minneapolis-St. Paul in Minnesota, so ein interssanter Artikel von Laurie Blake in der lokalen Star Tribune; ausgegraben hat diesen Artikel - wieder einmal mehr - Steve Weber; auf dem Presse-Foto sehen wir einen dieser Book Scouts in Aktion und mit entsprechendem T-Shirt (das er vermutlich auch vertickt); von aggressiv auftretenden Kollegen, die in der Nacht vor Eröffnung der Buchbazare im Auto kampieren und im Morgengrauen die besten Schnäppchen säckeweise wegschleppen, berichtet auch ein frustrierter Bücherfreund aus Brooklyn, NYC auf diesem Forum - und über Schlussverkaufkampfstimmung bei einem kirchlichen Bücherausverkauf: "They were frantic, grabby and all elbows".

Die aggressiv auftretenden und elektronisch hochgerüsteten Bücherjäger scheinen ein zunehmendes Problem zu sein - und werden von den Mitarbeitern der Schnäppchen-Events zwiespältig beurteilt: einerseits will man Sammler und Buchfreunde aus der Nachbarschaft nicht verprellen; andererseits braucht man das rasch eingenommene Geld der stets sackweise einkaufenden Scouts. Und so werden verschiedene Strategien entwickelt, um das Problem für alle Seiten befriedigend in den Griff zu bekommen: Zutritt für die Scouts erst ab 12 Uhr mittags, Einkassieren einer Gebühr von 20$ von kommerziellen Käufern mit der Möglichkeit eines Vorkaufsrechts am Tag vor der offiziellen Eröffnung u.a.. Die Kommentare und Beiträge dazu auf den oben verlinkten Seiten sind aufschlussreich und belegen, wie sehr das Problem allen Betroffenen auf den Nägeln brennt und die Gemüter erhitzt.

Einen Satz, der sich sinngemäß in Varianten wie ein roter Faden durch die engagiert geführten Diskussionen zieht, sollte sich der "aspiring book scout" mit der Elektronik in der Tasche allerdings dick anstreichen: der wirklich erfolgreiche Jägersmann (oder -frau) in Sachen antiquarischer Bücher zum Schnäppchenpreis auf Bazaren, in Charity Shops und auf Bücherflohmärkten braucht auch in Amerika weder ScoutPal - so sieht das Ding übrigens aus - noch ASellerTool , sondern Erfahrung und die richtige Nase eines Trüffelschweins. Das schnappt dann beherzt im richtigen Augenblick zu, wenn der elektronische Jäger immer noch fasziniert aufs Display seines Apparates stiert; und die ganz großen Nuggets lassen sich mit dem Scanner ja eh nicht anpeilen, zum Glück. Obwohl - rumspielen mit so einem Ding würde ich gerne schon mal;-).

Eine schöne Meldung von der anderen Seite des facettenreichen Handels mit Büchern kommt aus Österreich; genauer aus Wien, 15. Bezirk, Rudolfsheim-Fünfhaus, ein multikulturell geprägter ehemaliger Arbeiterbezirk mit einem hohen Anteil von Zuwanderern vor allem aus dem ehemaligen Jugoslawien; dort hat die ehemalige Verlagsrepräsentantin Ulla Harms etwas Unerhörtes gewagt: zusammen mit einer Schar mutiger Kolleginnen eine kleine, unabhängige Buchhandlung gegründet: die erste und allereinzige im Bezirk, heisst es; schlicht Buchkontor nennt sich das Unternehmen in einem Jugendstilhaus am Kriemhildplatz. Am 15. Mai, um 15 Uhr, ist Eröffnung. Hut ab und Gratulation, Frau Harms! "Es gibt sie noch, die enthusiastischen Buchmenschen, die ein Büro suchen und eine Buchhandlung finden!", meint Vienna Online, das diese mutmachende Geschichte veröffentlicht. Da Frau Harms, wie zu lesen ist, beste Beziehungen zu Wiens Verlagen pflegt, stehen die Chancen gut. Good luck! Zumal ja auch die sehr spezielle österreichische Variante der Buchpreisbindung ins Wanken gerät.....

Samstag, 9. Mai 2009

Von der Book Town zum Bücherdorf. Was in Deutschland nicht läuft, hat andernorts - noch - seine gutbesuchte Nische. Eine Erkundung

Auf Deutsch: Heute Interessantes zum Thema "Bücherstadt":

Seit etwas mehr als 45 Jahren gibt es in Europa und Nordamerika sogenannte Bücherstädte oder book towns: meist eher ländlich abseits der Metropolen gelegene, touristisch nicht unattraktive Gemeinden, die sich dem antiquarischen Buchverkauf verschrieben haben: heimelige Antiquariate mit kuscheligem Wohlfühlambiente in landschaftlich reizvoller Gegend sollten, so die Idee, den touristischen Bücherwurm anlocken und gleichzeitig den Fremdenverkehr ankurbeln; die erste, bis heute bestehende Bücherstadt diesen Zuschnitts entstand 1961 in Großbritannien, dem Mutterland des antiquarischen Bucherhandels: an der englisch-walisischen Grenze im idyllischen Hay-on-Wye.

Weitere bekannte Bücherstädte sind Wigtown im südwestlichen Schottland, das putzmuntere Bredevoort im niederländischen Gelderland nicht weit von der deutschen Grenze; das nicht ganz so pittoreske, dafür französisch-charmant daher kommende ("auf der Suche nach dem verlorenen Buch";-)) Fontenoy-la-joute im industriell geprägten Lothringen; das wie einem Roman der Brontes entsprungene, an Liebreiz kaum zu toppende Sedbergh mitten im Nationalpark von Yorkshire; die allererste Bücherstadt auf europäischem Festland und durch eine unfassbar dilettantisch gemachte Website bestechende südbelgische Redu an der Grenze zu Luxemburg; und jenseits des Grossen Teichs Stillwater in Minnesota, nach eigenen Angaben erste Bücherstadt in Nordamerika überhaupt; und - mein heimlicher Liebling - das urige und ruehrige antiquarische Treiben in der ehemaligen kalifornischen Goldgräberstadt Nevada City nördlich von San Francisco.

Alle diese Bücherstädte oder -dörfer haben eines gemeinsam: die Mitgliedschaft im internationalen Book Town Movement; neben den genannten sind Bücherstädte in Norwegen und Finnland, Kanada und Australien, der Schweiz und - ganz frisch dabei - in Malaysia (auf der Touristeninsel Langkawi) aufgelistet; und natürlich in Deutschland. In Österreich, Süd- sowie Osteuropa gibt es bemerkenswerterweise keine Bücherstädte.

Deutschland ist mit zwei eher kleineren "Bücherdörfern" in den neuen Bundesländern vertreten: Wünsdorf bei Zossen in Brandenburg und - noch winziger und abgelegener - Mühlbeck-Friedersdorf im Landkreis Bitterfeld in Sachsen-Anhalt. Überregional bekannt sind sie - vorsichtig ausgedrückt - eher weniger.

Über die Ortsgrenzen hinaus noch unbekannter, da offenbar nicht Mitglied im offiziellen Booktown Movement, ist das kleine Langenberg, ein Stadtteil von Velbert im Niederbergischen bei Wuppertal: der Webauftritt ist immerhin ansprechend und informativ gestaltet; organisiert wird das antiquarische Treiben in dem ehemaligen Tuchmacher-Örtchen mit den schiefergedeckten Häusern, auf halbem Weg zwischen Ruhrgebiet und der Metropole Köln, von ehrenamtlich engagierten Bürgern sowie der evangelischen Kirche. So richtig in Schwung gekommen ist das Projekt seit seiner Gründung vor ein paar Jahren bis heute nicht: ganze 8 Antiquariate, davon nicht alle Vollprofis, haben sich bislang entlang der kopfsteingepflasterten Strassen und Gässchen etablieren können; angedacht war mal Ehrgeizigeres......

Wenn man die Webauftritte der drei deutschen Bücherdörflein, die in Deutschland ausserhalb der jeweiligen Region kaum jemand kennt, richtig deuten mag, zieht das behäbig und verschlafen wirkende nordrheinwestfälische Langenberg eher ältere Bücherwürmer aus der näheren Umgebung an, Mühlbeck-Friedersdorf hält es mit der Esoterik und mit den Romanen der Zukunft (weist aber auf der Website auf längst nicht mehr aktuelle Termine in der Vergangenheit hin), während das sich noch am engagiertesten und lebendigsten gebende Wünsdorf sich immerhin den Forderungen des Tages stellt und aktuell zu einer Veranstaltung lädt: "Das elektronische Buch - das Ende der Bücherstadt Wünsdorf?" Vortragender und Diskussionsleiter in Personalunion dieser Veranstaltung ausgerechnet in der Gutenbergstraße ist Ralph Patzig von Libri GmbH (Eintritt 5 Euro, Beginn am 28.05. um 20 Uhr); Näheres ist der Website zu entnehmen. Libri ist ein deutscher Barsortimenter aus dem Norddeutschen, der u.a. - teilweise - vor allem logistisch mit Amazon zusammenarbeitet und zum Tschibo-Konzern gehört; die Diskussionen im beschaulichen Wünsdorf dürften lebhaft werden. Dass das brandenburgische Bücherdorf die touristischen Weichen längst woanders stellt, lässt sich unschwer der Website entnehmen.

Hat die Idee der Bücherstädte, dieses charmant-verschrobene Modell für einen etwas anderen Tourismus, überhaupt noch eine Chance in der Zukunft? Dass sich die - zwei offiziellen und eine selbstgestrickte - drei deutschen Book Towns (wenig genug sind es) trotz ihrer Lage in direkten Einzugsbereichen dreier bedeutender deutscher Buch-Metropolen - Berlin, Leipzig und Köln - so wenig im Bewusstsein der lesenden und büchersammelnden Allgemeinheit etablieren konnten, legt den Folgeschluss nahe: in deutschen Bücherlanden ist die Büchertadt ein ziemlich hoffnungsloses Auslaufmodell, dass nie so richtig vom Band ging. Heute scheint der Zug dafür endgültig abgefahren, auch im traditionell bücheraffineren Osten der Republik. Dass mag man schade finden, aber ist wohl nicht zu ändern. Für das Buchobjekt seiner Begierde reist der Sammler nicht mehr kilometerweit in ein langweiliges Provinznest (wo er das Begehrte dann noch nicht einmal vorfindet), sondern surft danach gemütlich zu Hause im Internet.

Im literaturverrückten Schottland, wo finanzkräftige Sponsoren, ein landesweit gerühmtes Poetik-Festival, eine große lokale Buchmesse und vielerlei kulturelle Attraktionen vor allem auch junge Bücherfreunde aus ganz Grossbritannien Sommer für Sommer anlocken, mag das - noch? - anders sein: immerhin lesen in der "nationalen schottischen Bücherstadt" Wigtown auch literarische Schwergewichte wie die vielgerühmte A.L. Kennedy aus ihren Werken; das zieht, zumindest für ein paar Tage im Jahr, die buchkaufenden Massen an. Von derlei hochkarätiger Unterstützung können die drei deutschen Bücherdörfer nur träumen.

Mein persönlicher Tipp für eine sehr spezielle Buchmesse: die Bücherstadt Nevada City in Kalifornien lädt am 15. Mai zur 9. Gold Rush Bookfair auf dem Messeglände des Nevada County in Grass Valley. Vor allem Freunde von Americana, seltenen Schätzchen zur Geschichte des Westens und der Indianerkriege dürften hier voll auf ihre Kosten kommen. Getreu dem Motto der Veranstalter: "It´s like browsing in a great old bookshop!"

Nevada City, das mit dem angrenzenden Grass Valley eine Art Doppelstadt bildet, ist die bücher- und literaturverrückteste Kleinstadt in Kalifornien, vermutlich der gesamten USA: der Stadtrat verdreifachte trotz drückender Finanzsorgen vor ein paar Jahren das Budget für die Stadtbibliothek, das Lokalblättchen leistet sich eine umfangreiche Literaturseite und sogar ein ganz dem Buch und der Literatur verschriebenes Radioprogramm namens Booktwon geht über den lokalen Sender in den Äther. Zahlreiche Schriftsteller und Uniprofessoren, viele aus den näheren Universitätsstädten wie San Francisco hierher aufs geruhsame Land gezogen, bildende Künstler und immerhin stolze 23 Buchhändler - vom Großantiquariat mit über 300.000 Bänden (das größte in ganz Kalifornien, ist zu lesen) bis hin zur Händlerkooperative und zum einzelkämpfenden Wohnzimmer- und Internetbuchverkäufer - beherbergt die 15.000 Einwohner-Gemeinde am Fuß der Sierra Nevada. Ein Eldorado für Bücherfreunde: so gibt es in den größeren Läden Sonderabteilungen nur für Bücher zum Thema Puppenspiel, Wappenkunde und Burgen, Kinderbücher und Americana sowie - Spezialität des Ortes - rare Editionen der Werke Mark Twains.

Die Antiquare und Buchhändler vor Ort gehören keinen Ketten an, bilden lokale Kooperativen, verfassen regelmäßig einen gemeinsamen Newsletter und helfen sich bei Kundensonderwünschen gegenseitig aus. Die bekannte Kolumnistin des San Francisco Chronicle, Adair Lara, hat über die schräge Bücherstadt am Fuß der blauen Berge mit ihrer starken Solidargemeinschaft von Händlern, Kommune und Käufern einen sehr schönen Artikel verfasst: der ist zwar schon drei Jahre alt, wird aber noch der Realität von 2009 in etwa entsprechen; unbedingt lesenswert, jedenfalls lässt der Abgleich mit der Website den Schluss zu. Das so etwas überhaupt noch möglich ist, überrascht und rührt. Also, wer jetzt zufällig in der Gegend ist: auf nach Nevada City und schwelgen! Wie lange noch?

Dienstag, 5. Mai 2009

an update: Amazon nimmt den angekündigten Gewerbezwang für den Verkauf antiquarischer Bücher mit Sammlerwert wieder zurück!

un update: Amazon rudert bei den neuen Zulassungsbedingungen für Anbieter "echter" antiquarischer Bücher mit Sammlerwert mit "collectible"-Status teilweise zurück. Nach massiven Protesten der Verkäufer muessen nun doch kein Gewerbe nachgewiesen werden und keine 40$ monatlich zwingend gezahlt werden, um solche hochpreisigeren Bücher überhaupt einstellen zu können. Noch nie zuvor habe er erlebt, dass Amazon eine Änderung innerhalb der hauseigenen Handelspolitik so schnell wieder zurückgenommen habe, meint Steve Weber, auf dessen Artikel dieser Blogbeitrag fusst, mit entsprechendem Link zu Amazon.

Offenbar rumort es bei Amazon gewaltig hinter den Kulissen, wohl auch was die Abgrenzung zu AbeBooks betrifft, die sich die Amerikaner ja erst Ende letzten Jahres bewusst als konkurrierende Laus in den Pelz gesetzt haben. Sie werden gewusst haben, warum. Wetten, dass sich da noch einiges tun wird? - Kassandra muss man nicht heissen, um windige Zeiten für den bislang eher gemütlich im Kielwasser des aufgebretzelteren Mutterschiffs vornehm und still vor sich hindümpelnden AbeBooks-Nachen vorauszuahnen.

Wie gesagt, sind das bislang ausschliesslich amerikanische Angelegenheiten. Abwarten, was das für Amazon Deutschland bedeutet. Jedenfalls nimmt Amazon - anders etwa als das schnodderige und arrogante Ebay - Feedback von seinen Verkäufern und Händlern durchaus ernst und an.Wenn´s dann noch so richtig mit der Kommunikation klappt, um so besser.

Samstag, 2. Mai 2009

Neue Definition des "Sammlerstücks" im antiquarischen Angebot und Kooperation mit Hermes. Amazon rüstet auf.

Auf Deutsch: :

Der unermüdliche Guru des antiquarischen Handels im Internet, Steve Weber, weist auf eine Neuerung für Amazon-Verkäufer hin, die aufhorchen lässt: schärfere Bedingungen für das Einstellen in der Bewertungsgruppe "collectible" (entspricht unserem "Sammlerstück"); hier der Link zu Steves Seite. Als "collectible" im strengeren Sinn stuft Amazon u.a. signierte Bücher (vom Autor, vom Übersetzer), Erstausgaben und Erstdrucke sowie sehr seltene Bücher oder Bücher mit besonderen Alleinstellungsmerkmalen ein (etwa ein besonderes Cover); Massenware, Remittenden, Mängelexemplare und Restposten sowie ausgemusterte Bibliotheksexemplare und auch Buchclubausgaben sind ab sofort ausdrücklich von dieser "de luxe"-Kategorie ausgeschlossen; den oft irregeleiteten Kunden wird´s freuen. Zugelassen sind als Anbieter für diesen VIP-Bereich auf dem amerikanischen Amazon Marketplace seit dem 29. April nur noch angemeldete Verkäufer mit Gewerbe, und zwar ausschließlich auf Antrag online: erst wenn dieser nach Prüfung genehmigt ist, dürfen neben dem üblichen Angebot auch hochwertige Sammlerexemplare gelistet werden; allen anderen Verkäufern wird die "collectible"-Funktion verweigert.

Die Verkäufer sind ab sofort angehalten, in der gehobenen Kategorie ihre Angebote äusserst genau und detailfreudig zu beschreiben, auch den kleinsten Defekt zu benennen und die Klassifizierung von "akzeptabel" bis "wie neu" korrekt vorzunehmen ohne auch kleinere Mängel wegzumogeln. In den Kreis dieser erlauchten Luxus-Verkäufer aufgenommen wird nur, wer eine sehr gute Bewertungsbilanz über einen längeren Zeitraum vorzuweisen hat; eine eigene feste Website oder gar ein "echtes" Ladengeschäft neben dem Online Shop könnten den Zugang erleichtern, meint Weber, ist sich diesbezüglich aber nicht sicher; die Bewerbung erfolgt per Klick, die persönliche Kommunikation mit Amazon soll dabei jedoch gleich null sein (so werden etwa für eine Ablehnung keine Gründe benannt); näheres zum Procedere auf der
Amazon-Seite. Die Wartezeit bis zur Freischaltung soll ca. eine Woche dauern; bereits bestehende, nicht den Kriterien entsprechende "collectible"-Listings dürfen bis Anfang Juni unverändert eingestellt bleiben, ab dann gelten ausschließlich die neuen Richtlinien.

Ebenfalls neu in dieser Kategorie: es können ab sofort auch Bücher ohne ISBN, die nicht bei Amazon gelistet sind, etwa sehr alte oder Privatdrucke, von Hand gelistet werden (mit genauen bibliografischen Angaben); bei zurückgesandter Ware muss innerhalb von 30 Tagen dem Kunden der Kaufpreis erstattet werden.

Nach Steve Webers Einschätzung verfolgt Amazon hier zwei neue Geschäftsstrategien: Ausbau des seriösen, hochpreisigen "echten" Antiquariathandels, der auch Sammler und investitionsfreudige Käufer anlocken will; andererseits die Unterbindung des marktschreierischen und wettbewerbsverzerrenden Billiger Jakob-Treibens nerviger "Mega-Seller", die sich mit ihrem Angebot durch "Sammlerstück"-Listings von der Masse abzuheben versuchen; über diese Praktiken haben sich, ist zu hören, potentielle Kunden und konkurrierende Anbieter - zu recht - gehäuft bei Amazon beschwert.

Letztendlich heisst das aber auch: Amazon bläst ab sofort unverblümt zum direkten Angriff auf den hochkarätigen Antiquariatshandel im engeren, klassischen Sinn; was das für die erst im Jahr 2008 gekaufte Tochter
AbeBooks, im Kern bislang zuständig für diesen Bereich, bedeuten mag, mag sich jeder gerne ausrechnen. Die, die es immer schon gewusst haben wollen, mögen sich jetzt die Hände reiben.

Wenn zunehmend, wie deutlich zu beobachten, bei Abebooks ungehindert Billig-Buchramsch verkauft werden darf und bei Amazon nun auch millionenteure nichtgelistete Bibeln aus dem 16. Jahrhundert, dann stellt sich die Frage nach dem Sinn zweier solcher Familienmitglieder unter einem Dach.....

Ab wann die neuen Regelungen auch für Amazon Deutschland gelten, ist mir nicht bekannt; noch können bei uns auch sogenannte "Sammlerstücke" ohne vorherige Anmeldung, Prüfung und Einhaltung strenger Zugangskriterien gelistet werden; kommen wird die neue Amazon-Zeit für antiquarische Bücher bei uns auch.....

Im Prinzip begrüße ich die Neuregelung: die Versuchung, bei massenhaft angebotenen Büchern auf das auffälligere "Sammlerstück" auszuweichen, ist zugegeben groß, auch wenn das gute Stück eine "seltene" Bertelsmann-Buchclubausgabe und somit im Prinzip für den Sammler völlig wertlos ist. Meiner Meinung nach müssten die Regeln noch strenger sein: 0,1 Cent-Angebote, Mängelexemplare, ausgemusterte Bibliotheksausgaben und Buchclubangebote gehören vielleicht auf den Flohmarkt und nach Ebay, aber nicht auf einen seriösen Marktplatz wie Amazon; ob sich andererseits die "gehobene" Klasse unter den echten Antiquaren auf Dauer mit einem derart schnodderigen Kommunikationston ködern und gängeln lässt, bleibt abzuwarte. Etwas mehr Freundlichkeit wie bei den kommunikativeren AbeBooklern hätte sich die zivilisierte Buchwelt schon gewünscht; ganz so behäbig wie
hier muss es ja nun auch nicht sein;-).

Hat sicher schon die Runde gemacht: Amazon Deutschland verschickt seine Pakete ab sofort nicht mehr exklusiv mit DHL, sondern auch mit der Quelle-Tochter Hermes; näheres bei golem.de, auf einem Bericht der WELT fussend. So ganz zu trauen scheinem dem blauen Braten die deutschen Amazon-Kunden allerdings noch nicht, wie auf folgendem Amazon-Forum zu lesen.

Der deutsche Kunde ist halt ein Gewohnheitstier und neigt dazu, Neuem erst einmal prinzipiell mit Misstrauen zu begegnen. Zumal Hermes, warum auch immer, seltsamerweise der Ruf anhängt, unzuverlässig, langsam und irgendwie unseriös, da privat zu sein; DHL verbinden die meisten von uns wohl immer noch mit der guten alten staatlichen Post mit dem gelben Posthorn, Kindheit eben, und das kann ja nicht schlecht sein. Was natürlich viel mit Nostalgie und wenig mit Fakten zu tun hat.

Persönlich habe ich mit der Versandabwicklung über Hermes gute Erfahrungen gemacht. Schwere Buchsendungen verschicke ich - wozu ich ja bei Amazon Marketplace die Wahl habe - prinzipiell mit Hermes: das Gewicht spielt hier keine Rolle, da die Versandkosten anders als bei DHL nur nach den Maßen, nicht nach den Kilos berechnet werden. Bei richtig dicken Brocken oder umfangreichen Bücherpaketen würde ich bei DHL, die gerade beim Gewicht saftig abkassieren, in einen Bereich rutschen, wo sich der Versand für kleine Buchverkäufer nicht mehr lohnte. Und bei kleinen, aber mit teurem Inhalt gefüllten Sendungen freut es den Bücherfreund, wenn sein gutes Stück mit Hermes auch im Kleinformat bis zu 500 Euro versichert ankommt (bei DHL erst ab dem teuren Paketformat, nicht beim günstigeren Päckchen möglich). Angekommen ist von mir mit dem Hermes-Boten Losgeschicktes bisher immer, sogar in Polen. Dass ich dabei den Versandverlauf online verfolgen kann, gibt mir und dem wartenden Käufer ein Gefühl der Sicherheit.

Sehr angehem auch, dass ich mein Bücherpakete am Büdchen an der Ecke abgeben kann, und zwar ganztägig auch am Wochenende, bis der Kiosk um 21 Uhr schliesst. Wirtschaftlich angenehmer Nebeneffekt: seit an immer mehr Kiosken, Schlüsseldiensten, Reinigungen und anderen kleinen Geschäften hier bei uns in der Rhein-Ruhr-Region (und sicher auch anderswo) die blauen Hermes-Schilder leuchten, konnte so mancher Ein-Mann-Betrieb die drohende Schliessung abwehren und seine Existenz mithilfe der Quelle-Tochter sichern. Bleibt zu wünschen, dass die allgemeine Akzeptanz von Hermes bei "Otto Normalverbraucher" durch die Zusammenarbeit mit Amazon wächst. Was auch letztendlich DHL zugute käme: Konkurrenz belebt bekanntlich dass Geschäft - Unzuverlässigkeit und vor allem eine völlig unübersichtliche und nicht nachvollziehbare Preispolitik wird sich DHL (und auch die Post) ab sofort nicht mehr leisten können.

Morgen stelle ich wieder ein antiquarisches Buch aus meinem Bestand vor: eine ungewöhnliche Biografie aus Island.

Dienstag, 28. April 2009

Participation Age, Second Life und ein Guru aus dem Online-Antiquariat: Neue Wege im Bücherland.

Wenn ich gelegentlich auf dem Flohmarkt um die Ecke nach Büchern stöbere, nervt mich stets der türkische Billige Jakob für Obst und Gemüse, der kurz vor Toresschluss die letzten schrödeligen Erdbeeren aus Litauen für 50 Cent das Pfund an den Mann bringen will: "Billig, billig, billig! Angebot, Angebot, Angebot!" schreit er mit heiserer Stimme gebetsmühlenartig in der Warteschleife, und die KundInnen strömen und schlagen sich um die Plastikschälchen mit zweifelhaftem rotzerquetschtem Inhalt. Er macht das zwei Mal die Woche (und an den anderen Tagen vermutlich andernorts), endet immer bei "billig, billig, billig" und 50 Cent und muss, da er ja immer wieder mit gigantischen Obstbergen wiederkommt, dennoch seinen Schnitt machen.

So ähnlich muss es den Kollegen von der Verpackungsspekulantenmafia bei Amazon und Co. gehen, die für 0,1 Cent "verlagsfrische" Bücher im Internet verhökern, natürlich im "luftgepolsterten Umschlag"; auch sie werden ihren Schnitt machen mit Masse statt Klasse - anders als der Kollege vom Gemüsestand, bei dessen Ware der Kunde den Gammel ja deutlich sieht, verschweigen sie selbstredend gerne die Mängel ihrer "frischen" Exemplare. Die Käufer solcher Angebote sind, scheint´s, ohnehin eher an den wattierten Umschlägen und an den Clips interessiert als am Inhalt. Warum ich jetzt gerade an diese "Kollegen" (gerne treten sie unter den klassenspezifischen Namen wie "Mannis Bücherkiste" oder "DasBilligeBuch" in Erscheinung) denken muss, weiss ich auch nicht; vermutlich, weil ich Appetit auf Erdbeeren habe und daran denke, am Wochenende wieder mal zum Flohmarkt zu gehen;-)

Eigentlich wollte ich über was ganz anderes posten: in - noch (mal sehen, was draus wird) - unregelmäßigen Abständen binde ich ab sofort einen Strauß thematisch interessanter Links, die mir bei Internet-Recherchen begegnet sind. Hier sind die ersten:

Eine sich etwas kraus und verstiegen lesende Pressemitteilung erreichte mich über newmax: die Literatur sei endlich auf dem Weg ins
Participation Age; dachte zunächst, ich hätte mich verlesen, aber steht da wirklich so: es geht um eine offene und zu allem Schreck auch noch vom Freistatt Bayern geförderte Plattform, die - wenn ich das krause Geschw. (sorry) einer Dame der Geschäftsführung richtig deute - die Absicht hegt, Autoren und "anderen Künstlern" einzureden, geistiges Eigentum und Kreativität miteinander zu teilen und mit gebündelter Energie und algorithmisch berechneter "dynamischer Preisfindung" (die Geschäftsführerin hat Informatik studiert und war früher Sales Managerin bei Amazon) als E-Book für Kindle & Co. an den Markt zu bringen. Mache sich jeder selber ein Bild. Der Webauftritt des Unternehmens namens
Litogo mitsamt seiner "Wikipockets" übereugt mich persönlich eher nicht, das ganze Ding ist zu gewollt und zu lollipop-kleinmädchenquietschbunt; im Grunde geht es um Ähnliches wie bei den guten alten Bezahlverlagen: um die Kitzelung der Eitelkeit von "Bestsellerautoren von morgen"; na ja. Bis das E-Book erwachsen ist, wird es noch durch so manche pubertäre Eskapade auffällig werden. Und jeder ist ein Künstler, wusste schon Joseph Beuys. Dass sich für mich Kreativität und staatliche Förderung prinzipiell ausschließen, ist Privatmeinung, kann man durchaus anders sehen.

Dass Amazon mal wieder zur rechten Zeit zugeschlagen und die beliebte E-Book-Application Stanza mitsamt ihres Schöpferunternehmens Lexcycle eingekauft hat, berichtet nach der Lektüre des entsprechenden Hausblogs des Unternehmens u.a.
Create or Die; auf Französisch gibt es entsprechende, ebenfalls auffallend zurückhaltende Infos bei NetEco: eine gute Gelegenheit, sich einmal vertieft mit der Welt des E-Business in Frankreich zu befassen.

E-Business in USA ist bekanntlich immer etwas lauter und für europäische Verhältnisse marktschreierischer als in Europa, auch auf dem Buchsektor: ein Beispiel dafür sind die nahezu überbordenden Aktivitäten des amerikanischen Gurus der Online-Antiquariatsszene Steve Weber: der Veteran der U.S. Airforce und studierte Journalist aus West Virginia nutzt nicht nur intensiv sämtliche Plattformen, die sich ihm bieten, als Marketinginstrumente in eigener Sache, bloggt, twittert und produziert Sachbücher im Selbstverlag, selbstverständlich auch als E-Book und im eigenen Amazon Store; seine Tipps zum Handeln mit gebrauchten und raren Büchern vom heimischen Schreibtisch aus sind ohne Frage brauchbar, informativ, bei aller Redseligkeit kein hohles Geschwätz, oft erfrischend simpel und gerade daher vermutlich so erfolgversprechend: näheres
hier:

Steve führt seinen seit Beginn seiner Selbstständigkeit als Online-Antiquar 2001 stetig wachsenden Erfolg nicht zuletzt auf eine simple Tatsache zurück: seine Unbefangenheit, mit der er die Sache einst angign: er sei halt nie ein hochtrabender Bücherwurm mit Rosinen im Kopf gewesen, sondern ein eher technikaffiner und allem Neuen aufgeschlossener Zeitgenosse mit Freude an Büchern, der aus dieser Freude ein ausgebautes Hobby und irgendwann eine Lebensexistenz machte; vielleicht in der Tat nicht der schlechteste Ansatz für Erfolg in diesem Business. Dass beim erfolgreichen Handeln mit alten Büchern nicht nur die richtige Nase, ein langer Atem und unermüdliches Suchen und Finden wesentlich sind, sondern gelegentlich schlicht Glück, verschweigt er nicht: die Geschichte mit dem vergessenen Körbchen unter einem Tisch bei einem Bibliotheksflohmarkt, in dem sich zwischen lauter Ramsch eine 100 Dollar-Buchperle fand, ist mir in der Form auch einmal widerfahren;-). Ansonsten gebe ich dem Guru recht: nicht vom dicken Geschäft mit millionenteuren Sammlerstücken träumen (an die kommt auch ein Amazon-Guru eher selten), sondern sich im mittleren Segment mit vielen Verkäufen eine solide und sichere Position schaffen; Ausreisser nach oben nicht ausgeschlossen.

Zum Schluss noch ein Blick auf eine ungewöhnliche Buchhandlung mit Antiquariat in Hoquiam im amerikanischen Bundesstatt Washington:
Jackson Street Books: im 9000 Einwohner-Städtchen mit Holzfällertradition, singt man zwar gerne in den entsprechenden Hemden volkstümlich-zeitkritische Lieder zur Gitarre zwischen Bücherregalen, ist aber ansonsten auf der Höhe der Zeit: mit Online-Handel, Bezahlen mit Pay Pal, Bloggen und sogar einem eigenen Auftritt bei Second Life, wo sie ebenfalls Bücher verkaufen; geht also doch beides, das Traditionelle und das Neue. Die als linksalternativ einzustufenden Macher von Jackson Street Books, ein Ehepaar mittleren Alters, verkaufen übrigens wie selbstverständlich alte und neue Bücher in einunddemselben Laden: mein Credo, in Deutschland leider nach wie vor nicht oder nur schamhaft realisierbar - wie lange noch?

Kleine, feine Buchhandlungen mit eigenen Überlebensstrategien und ungewöhnlichen Konzepten (ebensfalls mein Credo: die werden auch im Amazon-Age überleben, die gesichtslosen Ketten eher nicht) wird dieses Blog in loser Folge einige vorstellen: solche, die ich selber besucht habe (vielleicht irgendwann mal mit Podcast) und solche, die ich im Netz aufgestöbert habe.

Mein Buchtipp wird diesmal auf morgen verschoben - auch eine bekennende Nachteule wie ich muss mal schlafen und geht heute frueher als gewohnt zur Ruhe: zumal morgen wieder Trüffelsuche in Sachen Bücher angesagt ist;-). Als Bettlektüre liegt heute was Leichtes bereit: Hans J. Massaquoi (ein Angebot von buy-a-fine-book, meinem Amazon-Auftritt, ist auch dabei, und somit ist es dann doch noch ein Buchtipp;-)), eine leichte, aber nicht nervende Lektüre; gerade richtig nach einem anstrengenden Tag (und auch eine Erfolgsstory, die Mut macht und für ruhige Träume sorgt: nicht das Schlechteste, was man über ein Buch sagen kann); gute Nacht denn.

Samstag, 25. April 2009

Miss Marple im Antiquariat: Leona Rostenberg und Madeleine Stern zum Gedenken. Eine kleine Reise nach New York.

In dem kleinen Schaufenster rechts in der Mitte finden sich ab sofort ein paar Lektüretipps zu Büchern, die sich mit dem Thema "Antiquariat" und "Büchersammeln" beschäftigen; auf Deutsch und auf Englisch. Sie können direkt über dieses Blog bei Amazon bestellt werden. Der Handel mit "second-hand", "used", "rare" und "out-of-print-books" hat bekanntlich im angelsächsischen Raum eine weitaus bedeutendere und vor allem gesellschaftlich anerkanntere Geschichte als bei uns; dementsprechend umfangreicher ist das englische Buchangebot auf diesem Sektor. Stöbern lohnt demnach.

Frauen gelten in der wundersamen Welt der Antiquariate als exotische Wesen; ob´s wirklich nur am felhlenden Jäger- und Sammlergen liegt? Ein dankbares Thema für eine soziologische Doktorarbeit. Umso erstaunlicher die Geschichte zweier Freundinnen, die amerikanische Antiquariatsgeschichte schrieben und zu den bedeutendsten Persönlichkeiten dieser Branche in ihrer Zeit zählten:
Leona Rostenberg und ihre Geschäfts- und Lebenspartnerin Madeleine Stern; die beiden New Yorkerinnen aus deutschjüdischem Elternhaus, die ihren Handel mit "rare books" von ihrem gemeinsamen Wohnhaus in der Bronx, später in Manhattan, aus betrieben, legten mit über 80 ihre Doppelbiografie vor, auf diesem Blog ebenfalls im kleinen Schowcase zu finden; verschiedene Angebote der deutschen Übersetzung finden sich bei Amazon.

Ihren rund 50 Jahre währenden Erfolg führte das ungewöhnliche Paar nicht zuletzt - wie sie gerne auf Deutsch formulierten - auf ihr "Fingerspitzengefühl" und ihre detektivische Nase beim Aufspüren seltener Buchkleinodien zurück, wenn Kollegen länsgst aufgegeben hatten; beide starben vor wenigen Jahren mit über 90. Im amerikanischen Original heisst ihr von der Kritik hochgelobtes autobiografisches Werk
"Old Books Rare Friends"; ich hab´s noch nicht gelesen, werde das aber demnächst nachholen; dann gibt es an dieser Stelle eine kleine Rezension.

Typisch - und so leider ganz anders als bei uns - für britische und amerikanische Antiquare zumindest des alten Schlages in der obersten Liga: das Paar kaufte und verkaufte nicht nur rare Bücher, sondern war nahezu enzyklopädisch hoch gebildet, verfasste Abhandlungen, gelehrte Studien und Aufsätze und schrieb historische Bücher; sie lebten, vom ersten Kennenlernen als Studentinnen an der Uni bis zum Lebensende, miteinander mit, in und durch ihre Bücher, spürten verschollenen Werken hinterher, hefteten sich erfolgreich wie eine Art Miss Marple der Bücherwelt an die Fersen unerkannt unter anderem Namen Parallelwerke schreibender Bestsellerautoren vergangener Zeiten und lösten in der Fachwelt und bei ihren treuen Kunden Entzücken aus über ihre erfrischend anderen und fantasievollen Kataloge. Beiden eilte der Ruf voraus, alle Bücher in ihrem Bestand selber gelesen zu haben (ein Ehrgeiz, den ich teile, jedoch nur bei Büchern, die mich anziehen, verwirkliche; übrigens unabhängig von ihrem derzeitigen Marktwert).

Zumindest in New York und Umgebung gehören die beiden bücherverrückten Ladys bis heute, wie die ausführlichen Nachrufe belegen, zum kulturellen Gedächtnis der Stadt und wurden sogar zu Pop-Ikonen: als - man staune -
Musicalfiguren. "Wir sind Dinosaurier" sagen bzw. singen die beiden da an einer Stelle; und so wird es sein. Musicals über Amazon-"Bookdealers" wird es kaum geben, oder? Ich hätte was darum gegeben, die beiden Bookworm-Dinos noch kennen gelernt zu haben.

Das Musical Bookends (Buchstützen) wurde übrigens vor zwei Jahren von einer kleinen Theatertruppe am Broadway auf die Bühne gebracht und behandelt im wesentlichen die Anfangsjahre der beiden jungen Ausnahmefrauen mit Büchern statt Rosinen, Party und Männern im Kopf, und das in den wilden 1920er Jahren. Ausgedacht hat sich den auf den ersten Blick für ein Musical reichlich ungewöhnlichen Plot Katherine Houghton, eine Nichte von Hollywood-Ikone
Katherine Hepburn, die mit den beiden Frauen befreundet war; die New York Times berichtete, leicht irritiert, amüsiert und auch gerührt ausführlich. Irgendwie kurios ist es ja in der Tat, zwei kauzige Antiquarinnen als singende und steppende Musicalheldinnen zwischen Bücherregalen;-).

Ohne Amazon hätte ich Mady und Leona und ihre bemerkenswerte Lebens- und Buchgechichte wohl nie im Leben aufgestöbert: die zwei sind, trotz der auch auf Deutsch erschienenen Biografie, bei uns nahezu unbekannt: durch Zufall stieß ich bei der Zusammenstellung passender Bücher für ein Widget auf ihre Biografie, wurde neugierig und nahm die Spur auf: das Trüffelschwein-Gen teile ich nämlich mit den zwei Ladys; das Ergebnis füllt diesmal dieses Blog - ich hoffe zum Vergnügen meiner Leser; mir hat die kleine Reise nach New York zumindest Spaß gemacht. Und auch ein bisschen sentimental: die Zeiten sind vermutlich endgültig vorbei.

Donnerstag, 23. April 2009

Große Haie, kleine Fische - und ein Tribut an Henry Miller. Zum Ausklang des Welttags des Buches


Der Weltbuchtag neigt sich dem Ende zu. Was ich gut fand an jenem an sich überflüssigen Tag jenseits des Üblichen und Nervigen - etwa Politiker, die Grundschüler und Fünftklässler (die lassen sich noch am ehesten überrumpeln) aus Prestige- und Wahlkampfgründen mit Vorleseaktionen terrorisieren
durften -, waren die Berichte über die "Kleinen": Wagemutige Neugründer und Fähnlein der letzten Aufrechten traditioneller Familienbetriebe, die sich auch anno 2009 dem Abenteuer Buchhandel stellen; viel Gejammere aber auch manches Frech-Wagemutige gab es da zu lesen. Die besten und engagiertesten Artikel zum Thema kamen dabei, wie so oft, aus der kleinen, aber feinen Provinz: engagierte Lokaljournalisten schrieben spürbar mit Herzblut über Lust und Frust eines aussterbenden Berufsstandes: den des Buchhändlers als Einkelkämpfer und Individualist. Dafür sei den oft zu unrecht geschmähten "Provinzschreibern" einmal von Herzen Danke gesagt:

Zum Beispiel Erich Wandschneider von der Augsburger Allgemeinen Zeitung: der hat aus gegebenem Anlass einen schönen und unzeitgemäß langen Artikel über die kleine Buchhandlung "Maximilian" im ebenso kleinen Wertingen geschrieben. Wertingen liegt im schwäbischen Landkreis Dillingen an der Donau und hat noch nicht einmal 9000 Einwohner, schreibt die Wikipedia; wie viele der Wertinger Leseratten und regelmäßige Buchkäufer sind, ist nicht überliefert. Aus eigener Erfahrung mit dem Leben in so einer ländlichen Kleinstadt weiss ich allerdings: die Nähe zum öffentlich geförderten Buch ist hier meist noch besser erhalten als in der Großstadt, Lesen wird - von den Familien, den Schulen und, hier noch ganz wichtig, den Pfarrgemeinden - bemühter gefördert, Bücher als Geschenk für liebe Mitmenschen gehören noch zum guten Ton: in der Kleinstadt mit ihren - noch - engmaschigeren sozialen Netzen kauft man der Kusine dritten Grades zum Geburtstag ein "gutes Buch" (was immer darunter zu verstehen sein mag, aber das ist ja auch egal), wo es in der Großstadt noch nicht einmal mehr für einen Anruf langt. Insofern werden Buchläden wie das "Maximilian" in Wertingen sicher noch eine Weile Bestand haben; wenn sie so rührig, engagiert, "eventfreudig" wie kulturbeflissen und mit dem Ohr am Puls des übersatten Lesers 2009 agieren wie offenbar die Damen von der Donau, umso mehr.

Dennoch: als Amazon-Verkäufer fiel mir schon nach kurzer Zeit auf: die Leser vom Lande stellen mit Abstand das Gros meiner Kunschaft, sicher oft auch eine Frage der Logistik, wenn die nächste "leibhaftige" Buchhandlung zig Kilometer entfernt liegt; da ist Amazon und sind somit auch wir Trabanten auf Dauer einfach nicht schlagbar. Der Tipp des gewitzten Reporters, doch die "Gebrauchten" wie in Frankreich (wusste ich gar nicht, dass das dort so gehandhabt wird) gleich neben die Neuware ins Regal zu räumen, stieß allerdings auch in Wertingen auf taube Ohren: gebrauchtes Lesefutter gehöre in die Wühlkiste,punktum. Da ist sie wieder, die alte Arroganz: gebrauchte Bücher sind Ramsch. Auf Dauer werden sich auch deutsche Buchhändler, wenn sie trotz Amazon und Co. überleben und ihr bescheidenes Revier erfolgreich verteidigen wollen, diese Attitüde nicht leisten können.

In Schönheit sterben zu wollen, wäre mehr als töricht. Wobei ich - was eine ganz subjektive Privatmeinung ist - den flexiblen, im sozialen Umfeld vor Ort geerdeten und vernetzten kleinen Buchhandlungen mit Visionen (auch kleine Visionen können viel bewirken) eine wesentlich sicherere Zukunft im Auge des Orkans namens Amazon vorauszusagen wage als den großen anonymen und austauschbaren Ketten; ob es die in zwanzig Jahren noch geben wird - den Blick in den Kaffeesatz möchte ich nicht riskieren.

Zum Abschluss wieder ein Buchtipp: "Lachen. Liebe. Nächte. Sechs Erzählungen". Autor: Henry Miller. Die Stories (im Original doch erheblich abweichend "Nights of Love and Laughter") hat der - zu unrecht - weniger als grandioser Schriftsteller denn als grosser Schweinigler in da kollektive kulturelle Gedächtnis eingegangene Amerikaner in Frankreich geschrieben, kurz vor dem Ende der seligen Bohème-Zeit in Paris und dem Beginn der Nazi-Barbarei; Miller war da um die 40 und hatte als literarischer Spätzünder mit seinem allersten Roman "Wendekreis des Krebses", bis heute auf Deutsch verlegt bei Millers hiesigem Hausverlag
Rowohlt und nach wie vor gerne gelesen, seinen literarischen Durchbruch mit einem Skandal begründet. Die Erzählungen sind autobiografisch gefärbt und der Sex spielt darin eigentlich keine oder eine Neben-Rolle. Sexistisch sind sie - entgegen des Millerschen Klischees - auch nur für den, der das frauenfeindliche Haar in der Suppe des Vielbeschrienen wie Vielgeliebten partout finden will. Die kleine Hurengeschichte "Mademoiselle Claude", die seinerzeit für soviel Wirbel sorgte, finde ich persönlich ganz zauberhaft, ein wenig traurig auch und verloren, und sie erzählt eine Menge über uns Frauen, Hure oder nicht Hure.

Was mir besonders an Miller gefällt ist sein Humor, der alle Geschichten tränkt: einerseits führt er so das Groteske der menschlichen Existenz in all ihren verqueren Spielarten wie einen Bären am Nasenring vor, andererseits hilft es dem Autor, seine tiefe existentielle Einsamkeit und (Sehn-)Sucht nach Liebe mit einem Witz herunterzuspielen. Millers Humor, sein lustvolles Übertreiben absurder Situationen und Überzeichnen neurotischer Persönlichkeiten ins Lächerlich-Monströse bezieht die eigene Person immer mit ein; das macht seine Größe aus. Am Ende stehen stets die lässige Geste und die Einsicht "Was soll´s, hätte schlimmer kommen können"; vielleicht wurde Miller so trotz aller Eskapaden und Exzesse über 90.

Wer jetzt Lust an den Geschichten bekommen hat - in denen geht es u.a. um folgendes: eine an absurdes Theater oder Kafka im Kasperltheater gemahnende verhinderte Reise des Autors nach England und um eine in einer furios-durchgeknallten Orgie endende, mit Astrologie und Alkohol, Geschwätz und Sex gewürzte Szene-Party in New York - der sollte nicht zögern und stöbern (bei buy-a-fine-book und anderswo). Persönlich ziehe ich die dezente alte Rowohlt-Taschenbuchausgabe aus den 1950er Jahren der aktuellen Ausgabe mit der aufdringlich-komichen blauen Banane vor. Schönere Taschenbücher als diese 50er Jahre-Bändchen mit den verstärkten Leinenrücken und den geschmackvoll-ästhetisch hochwertigen Cover-Illustrationen gibt es wohl kaum.

Die gestalterisch gekonnt die Balance zwischen kühler grafischer Distanz, theatermäßigem "Drama" und erotischer Nähe haltende Einbandgestaltung geht auf das Konto von Karl Gröning Junior und Gisela Pferdemenges, ein in den 1950er Jahren äußerst produktives Gespann von Bucheinband-Illustratoren; die kongeniale Übersetzung ist Kurt Wagenseil zu danken, der mit Miller befreundet war und alle seine Werke erstmalig ins Deutsche übertrug; er tat es genial und mit jener sehr seltenen Gabe der Einfühlung in den "Sound" eines Textes, die nur den ganz Großen unter den Übersetzern zu eigen ist. Dass dieses schöne kleine Gesamtkunstwerk in Gestalt eines Taschenbuchs hier für einen derart lächerlichen Preis angeboten werden muss, tut weh; aber in dem Fall war der Konkurrenzdruck einfach zu groß. Am ideellen Wert dieser Ausgabe ändert das für mich nichts.

Wer einmal sehr eigen auf den Spuren eines Miller-Adepten von heute wandeln will, dem sei
dieser vergnüglich-freche Beitrag auf dem ZVABlog zur Lektüre empfohlen. Woher der Autor allerdings die Erkenntnis hernimmt, Frauen hätten von Natur aus kein antiquarisches Sammlergen - das weiss ich allerdings auch nicht........;-).